Mit vom Urteil vom 28.09.2021 – VIII R 2/19 – hat der BFH entschieden, dass

  1. das Wahlrecht auf den ermäßigten Einkommenssteuersatz (56% des durchschnittlichen Steuersatzes) auch dann verbraucht ist, wenn das Finanzamt die Vergünstigung zu Unrecht bereits in früheren Veranlagungszeiträumen gewährt hat.
  2. Ein Verbrauch es einmaligen Wahlrechtes liegt selbst dann vor, wenn die Gewährung der Vergünstigungen ohne Antrag des Steuerpflichtigen geschieht und ein Betrag begünstigt besteuert wurde, bei dem es sich tatsächlich nicht um einen begünstigungsfähigen Veräußerungsgewinn gehandelt hat.
    Für den Verbrauch ist allein entscheidend, dass sich die Vergünstigung auf die frühere Steuerfestsetzung ausgewirkt hat und sie dort nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
  3. Etwas anderes gilt nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nur dann, wenn die unrichtige Gewährung der Vergünstigung in dem früheren Einkommenssteuerbescheid für den Steuerpflichtigen angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und wegen des Fehlens eines Hinweises des Finanzamtes nicht erkennbar war.

Unsere Urteilskommentierung sowie Steuerberater-Tipps aus Kassel:

Nicht wenige Unternehmer und Selbstständige haben einen Großteil Ihres Vermögens in Ihrem Unternehmen gebunden.

Insbesondere zur Absicherung der Altersvorsorge hat der Gesetzgeber für Gewerbetreibende und Freiberufler unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit vorgesehen,

  • einen ganzen Betrieb,
  • einen Teilbetrieb,
  • eine das gesamte Nennkapital umfassende Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft oder
  • einen gesamten Mitunternehmeranteil an einer gewerblichen oder freiberuflichen Personengesellschaft

unter Aufdeckung der stillen Reserven steuerbegünstigt im Ganzen zu veräußern oder aufzugeben.

Als Steuerbegünstigungen kommen in Frage:

  1. ein Freibetrag von bis zu 45.000 EUR: auf Antrag einmalig im Leben nach Vollendung des 55. Lebensjahrs oder nach Eintritt der dauerhaften Berufsunfähigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne. Übersteigt der Veräußerungs- oder Aufgabegewinn 136.000 EUR, schmilzt der Freibetrag ab. Bei einem Veräußerungs- oder Aufgabegewinn von 181.000 EUR wird kein Freibetrag mehr gewährt.
  2. Steuersatzvergünstigungen:
    1. Tarifbegünstigung Fünftelmethode
    2. ermäßigter Einkommensteuersatz (56% des durchschnittlichen Steuersatzes auf maximal 5 Mio. EUR des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns): auf Antrag einmalig im Leben nach Vollendung 55. Lebensjahr oder nach Eintritt der dauerhaften Berufsunfähigkeit im sozialversicherungsrechtlichen SinneDer Freibetrag und der ermäßigte Einkommensteuersatz werden jeweils nur einmalig für einen einzigen Veräußerung- oder Aufgabevorgang gewährt. Für Steuerpflichtige mit mehreren Betrieben bzw. entsprechenden Beteiligung sollte folglich durchdacht werden, für welche Vorgänge welche Begünstigung genutzt werden kann und soll (Steuerplanung).

Auf was sollten Sie bei Ihren Verkauf/Aufgabe achten, wenn Sie (gerade mehrere) begünstigungsfähige (Teil)Betriebe bzw. Beteiligungen im vorstehenden Sinne haben?

  1. Sofern möglich, erstellen Sie möglichst frühzeitig eine langfristige Steuerstrategie, welche auch die späteren Veräußerungen im Ganzen sowie Betriebsaufgaben berücksichtigt.
    So haben Sie und Ihr Steuerberater im Blick, für welchen Betrieb oder Beteiligung welche Vergünstigung genutzt werden soll, so dass mögliche Fehler des Finanzamtes rechtzeitig auffallen.
  2. Verlassen Sie sich nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben.
    Sind Sie steuerlich vertreten und legt Ihr Steuerberater keinen Einspruch gegen die unrechtmäßige Vergünstigung in Vorjahren ein, so müssen Sie grundsätzlich den Verbrauch der Steuervergünstigung gegen sich gelten lassen.
  3. Achten Sie bei der Veräußerung oder Aufgabe eines gesamten Mitunternehmeranteils darauf, dass bereits im gesonderten Feststellungsbescheid der Mitunternehmerschaft über die Frage zu entscheiden ist, ob und in welchem Umfang es sich um einen begünstigtenVeräußerungs- und Aufgabegewinn i. S. d. § 34 EStG handelt.

Die Einordnung der begünstigten Einkünfte muss folglich bereits im gesonderten Feststellungsbescheid erfolgen und kann nach Bestandskraft dieses Feststellungsbescheides nicht mehr auf Ebene der Einkommenssteuer geändert werden. Folglich kann auch ein unrichtiger Feststellungsbescheid Ihnen die Steuervergünstigungen kosten.

Wenn Sie noch keine langfristige Steuerstrategie unter Einbezug von möglichen Steuervergünstigung einer später absehbaren Betriebsveräußerung im Ganzen oder Betriebsaufgabe haben, kontaktieren Sie uns gerne.

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BFH vom 02.12.2020 – II R 5/19

Aus dem vorgenannten Beschluss des BFH lassen sich folgende Grundsätze zusammenfassen:

  1. Das Wahlrecht für die Ermittlung des gemeinen Wertes von Anteilen an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft zwischen individuellen Ertragswertverfahren (z. B. IDW S1 Gutachten) im Sinne von § 11 Abs. 2 S. BewG oder steuerlichen vereinfachten Ertragswertverfahren gemäß § 199ff BewG steht allein dem Steuerpflichtigen und nicht dem Finanzamt zu.
  2. Der BFH betonte in seinem Beschluss, dass es keine Darlegungspflicht des Steuerpflichtigen bei Anwendung der individuellen Wertermittlung nach Ertragsaussichten gibt, warum das gewählte individuelle Wertermittlungsverfahren gegenüber dem vereinfachten Ertragswertverfahren vorzugswürdig ist.
  3. Das Finanzgericht muss ggf. bestehende Lücken im individuellen Ertragswertgutachten im Rahmen der gesetzlichen Sachaufklärungspflicht schließen (Amtsermittlungsgrundsatz).

Unsere Unternehmensbewerter-Urteilskommentierung und Bewerter-Tipps aus Kassel:

Als Unternehmensbewertungsspezialisten (Certified Valuation Analyst) wissen wir, dass häufig Streit mit dem Finanzamt hinsichtlich der Anerkennung individueller Wertgutachten droht.

Da inzwischen regelmäßig spezialisierte Mitarbeiter der Finanzverwaltung an Bewerterkonferenzen teilnehmen, hat die Finanzverwaltung trotz des BFH-Urteils häufig leichtes Spiel mit dem „Aushebeln“ von Bewertungsgutachten von nicht auf Bewertungsfragen spezialisierten Berufskollegen wegen offenkundiger Fehler.

Der vorliegende Urteilsfall könnte auch die Rückverweisung an das Finanzgericht nicht unwesentlich beeinflusst haben und sollte daher relativiert betrachtet werden:

Für Zwecke der Erbschaftssteuer musste der Wert einer Minderheitenbeteiligung von rund 17 % an einer Kapitalgesellschaft bewertet werden, wobei den beiden Mitgesellschaftern zudem noch Sondergewinnbezugsrechte zu Lasten der Steuerpflichtigen zustanden. Der beauftragte Unternehmensbewerter konnte mangels Zugriff auf notwendige Informationen des zu bewertenden Unternehmens nur eine indizielle Wertermittlung in Anlehnung an IDW S1 anstelle eines vollständigen Unternehmensbewertungsgutachten gemäß IDW S1 erstellen, wobei der Unternehmensbewerter u. a. die Ertragsprognose im Wesentlichen auf Basis der angepassten historischen Jahresergebnissen abgeleitet hatte.

Der so vom Unternehmensbewerter ermittelte und in der Erbschaftssteuererklärung erklärte Anteilswert belief sich auf rund 6,4 Mio. EUR, wohingegen der vom Finanzamt ermittelte Anteilswert durch Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens rund 14 Mio. EUR betrug.

Nach Feststellung des Finanzgerichts Düsseldorf führe die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens trotz Vorliegen der erheblichen Wertdifferenz nicht zu unzutreffenden Ergebnissen.

Der BFH hob das Urteil des Finanzgerichts auf und wies das Verfahren zurück an das Finanzgericht. Nach Auffassung des BFH hatte das Finanzgericht seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung dadurch verletzt, dass es die vorgelegte indizielle Wertermittlung analog IDW S1 weder beachtet noch ergänzt oder angepasst hat.

Was sollten Sie bei steuerlichen Unternehmensbewertung beachten?

  1. Für Minderheitengesellschafter könnte die Vereinbarung einer gesellschaftsrechtlichen Regelung zielführend sein, womit die Kapitalgesellschaft zur Mitwirkung bei gesellschaftsbezogenen Anteilsübertragungen verpflichtet wird. Dies gilt umso mehr, wenn der Gesellschaftsvertrag oder Satzung ein Einziehungs- oder Abtretungsrecht der Gesellschaft im Todesfall eines Gesellschafters einräumt.
  2. Lassen Sie ein Bewertungsgutachten zur Streitvermeidung immer nur von einem auf Unternehmensbewertung spezialisierten Unternehmensbewerter erstellen. Zu den Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Bewertungsgutachtens gehören insbesondere methodische Qualität als auch eine zutreffende Erhebung und Dokumentation der Begutachtungsgrundlagen. Bereits kleine Formfehler werden häufig vom Finanzamt zum Anlass genommen, ein Unternehmenswertgutachten abzulehnen.

    Es muss auch bezweifelt werden, dass das Finanzgericht in jedem Fall im Rahmen der gerichtlichen Sachaufklärungspflichten angehalten ist, ein mit erheblichen Fehlern versehendes Gutachten auszuwerten und zu ergänzen hat. Im Urteilsfall hatte die Steuerpflichtige scheinbar aufgrund Ihrer Minderheitenstellung keine Chance, sämtliche Bewertungsgrundlagen zu erheben und musste sich von daher zwangsläufig gewissen Schätzungen und allgemeinen Informationsquellen bedienen. Anders könnte der Fall beurteilt werden, wenn Sie Zugriff auf alle Bewertungsgrundlagen haben und diese nicht adäquat im Bewertungsgutachten einfließen lassen.
  3. Verlassen Sie sich nicht darauf, dass das Finanzgericht eine eigene Begutachtung anordnet. Sie können bis zur Beendigung der mündlichen Verhandlung ein Parteigutachten in das Verfahren einbringen. Ein solches Gutachten bindet das Finanzgericht zwar nicht, darf gemäß dem BFH-Urteil jedoch nicht durch das Finanzgericht grundsätzlich missachtet werden. Ihr Ziel sollte es sein, möglichst frühzeitig im Besteuerungsverfahren ein qualifiziertes Unternehmenswertgutachten einzubringen, um eine langjährige und kostspielige Auseinandersetzung mit dem Finanzamt zu vermeiden.

Bei Fragen zur Ihrer Unternehmens- oder Anteilsbewertung wenden Sie sich gerne bei uns an Herrn Dipl.-Kfm. WP StB Timo Weltz | Zusatzqualifikationen: Fachberater für Unternehmensnachfolge (DStV e.V.), CVA (EACVA e. V., Spezialist für Unternehmensbewertung), Fachberater für Testamentsvollstreckung und Nachlassverwaltung (DStV e.V.)

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